Schmähvideo

Mal angenommen, ich drehe ein trashiges Schmähvideo. Oder verbrenne ein paar Koran-Exemplare. Oder kritzel ein paar dumme Karikaturen. Wen interessierts? Wer erfährt davon? Wird auch nur eine Botschaft auf der Welt brennen? Wie schaffe ich es, auch nur einen Terrorislamisten hinter dem Ofen hervorzulocken?
Die Antwort ist einfach: Gar nicht.
Ein bei Youtube eingestelltes Video unter millionen anderen mit 200 Klicks mag manchen ärgern und mir bestenfalls und zu Recht belächelte Verachtung einbringen. Meine Koranverbrennung ruft den Unbill der Nachbarn über den Gestank außerhalb der Grillsaison hervor. Und mein türkischer Nachbar wird mir vielleicht keine Eier mehr leihen. Eine Veröffentlichung meiner Karikaturen in einem selbsternannten Satiremagazin mit 2000 Abonnenten wird keine weltweiten Wellen schlagen.

Wie funktioniert das also? Wie findet ein durchgeknallter US-Pfarrer aus den Sümpfen Floridas solch ein Gehör? Oder (unfreiwillig) ein dänischer Karikaturist seinerzeit? Ich selbst lese keine dänischen Zeitschriften. Das Internet ist groß und ohne einen gesteuerten Fokus wird das Allermeiste unentdeckt bleiben. Besonders in den Wüsten Arabiens.

Man braucht mächtige Partner und wuchtige Interessen, die aus einem nicht beachtenswerten Ereignis eine Schlagzeile machen. Irgendjemand hat schließlich beschlossen, es groß rauszubringen. Zeitungsinhalte sind gut ausgesucht. Genausogut hätte es ein Dreizeiler unter Vermischtes oder ganz ignoriert werden können – am besten sogar. Das wär’s dann auch gewesen. Irgendjemand wollte, dass es Beachtung findet. Irgendjemand mit der nötigen Macht und Interessen. CNN, NBC, Springer, Murdoch und Konsorten. Und steht es dort auf der Titelseite, können es WDR und Aljazeera nicht mehr ignorieren. Ein Schneeball, der blitzschnell um die Welt rollt. Hohlphrasenpolitiker, Warlords, Scharfmacher und sonstige Brandstifter finden sich leicht, um daraus ihren jeweiligen Profit zu schlagen. Ein Kinderspiel mit Marionetten – mit der Sache hat es natürlich gar nichts zu tun.
Schlägt es dann weltweit Funken, geht es in die nächste Runde. Eine Reaktion auf ein Titelblattereignis gehört auf die Titelseite. Stehen ein paar Verführte, die das Video nie gesehen haben vor einer Botschaft, wird daraus im Handumdrehen die Empörung der islamischen Welt. Hätte auch ein Dreizeiler sein können. Und schon sind wieder Politiker, Verbände und andere Terroristen am Start, die in ihrer Empörung nicht nachstehen wollen. Nächste Runde. Die Medienmaschine läuft rund und schmiert sich selbst. Unser Außenminister verurteilt tapfer (wie niedlich), langweilige Kirchenvertreter und andere Meinungsträger jeder Art diskutieren weltweit auf allen Kanälen selbstverständlich ohne die kleinste Wirkung. Der (selbstgemachte) Medienfokus ist da und schnell finden sich genügend Trittbrettfahrer. Ein prima Syrien-Sequel. Saddad drohte langweilig zu werden.

Die Medien hatten und haben es in der Hand. Sie können ein dummes Video ignorieren oder einen Flächenbrand entzünden. Man könnte sich zurücklehnen und das Schauspiel amüsiert genießen. Aber es werden wohl wieder Menschen sterben.

Die Diskussion hat den falschen Fokus. Islamismus ist nur ein Vehikel. Nicht das Video und die Unruhen sollten unsere Aufmerksamkeit haben, sondern die Mechanismen, die sie steuern.
Hoffen wir, dass in China nicht mal der falsche Sack Reis umfällt…

5 Kommentare zu „Schmähvideo

  1. Jaja, aber es ist nach wie vor zu einfach, den Medien bzw. der Verbreitung die Schuld zu geben. Deren Wirkung aber: Realität. Es dürfte das Verdienst der Verbreitung sein, dass sich die „Fronten“ weiter klären und dass man weiß, was Sache ist und mit wem man es zu tun hat. Hüben wie drüben. Sie sind alle drauf aus und es wird sich nicht verhindern lassen, da kann man nun „besänftigen“ wie man will. Das Ganze erinnert fatal an die Nazizeit. Die Massen-Gläubigkeit, der totale Krieg, die Führer-Beleidigungsparagraphen: wer den Führer beleidigt, beleidigt das ganze deutsche Volk usw. Hitler: Die, die früher gelacht haben, die lachen jetzt nicht mehr. Man erinnere sich an die Versuche, diese „Bewegung“ zu besänftigen, den Krieg zu verhindern (Chamberlaine) – und? Vergleichbar mit dem „Schmäh-Video“ dürfte Chaplins „Der große Diktator“ sein.

    1. Gut, dass Chaplin das nicht mehr hören kann…

      Es geht nicht um Fronten, die es sicher gibt. Irgendwo. Es geht um die Anlässe und auch Reichweiten. Die lächerliche Äußerung eines Dorfpfarrers in den USA muss nicht dazu führen, dass im arabischen Raum Menschen sterben. Der ‚Konflikt‘ ist gar keiner. Durch das Großglockenhängen von unbedeutenden Ereignissen wird die journalistische Pflicht deutlich übererfüllt. Die Frage ist: Warum? Niemand außer den Medien profitiert wirklich.

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