Der IT-Vortrag

Ich bin so ein IT-Seppel und nie besonders stolz, das zugeben zu müssen, wenn jemand bei der Frage, was ich so mache, einfach nicht aufgeben will. Die letzte Hoffnung auf den ehrenvollen Ausgang eines solchen Gesprächs schwindet, wenn ich merke, dass mein Gegenüber nicht daran denkt, IT mit ‚Intelligenter Typ‘ oder ‚Imperiale Truppen‘ zu übersetzen.
Ok, IT ist nicht immer so spannend, wie es sich anhört. Die meisten von uns sind ganz normale Leute, bei denen Abenteuer einfach nicht zum Alltag gehören. ‚Die meisten‘ bedeutet: Nicht alle! Manchmal – nicht oft – manchmal ist das komödiantische Potenzial dieses trüben Genres bemerkenswert. Man muss nur hinsehen.

So sitzt ein ganzes Rudel der hochbezahlten Eierköpfe etwas gelangweilt in einem Seminarraum üblichen Zuschnitts und fiebert sehr geduldig dem nächsten Vortrag entgegen. Ich mittendrin, spiele mit meinem Berater-Smartphone einer Obstfirma. Ein schlechtes Telefon mit Kamera und ein mittelmäßiges Navi in einem einzigen Gerät zum Preis eines guten Navis, zwei prima Kameras und ein paar Telefonen. Und Doodle-Jump.

Endlich geht es los. Das Thema ist ein typisches Uni-Informatiker-Thema. Davon gibt es seit Anbeginn der Zeit genau drei: Sortieren, das Problem des Handlungsreisenden und heute Parser (die Nicht-ITler unter den Lesern dürfen dieses Wort als nicht erklärungswürdig hinnehmen). Das interessiert mich nur peripher. Nichts, was man im Alltag so braucht. Und falls doch habe ich das hier eh schon lange vergessen und frage Gugel.
Der Referent ist ein älterer, schlacksiger, dünner Mann mit grauem Zauselbart und Bauchansatz. Ein bisschen wie Steinzeit. Obwohl er es dort nicht weit gebracht hätte und in seiner ungelenken Art bald Opfer eines hungrigen Säbelzahnhamsters geworden wäre. Er stellt sich ausführlich vor, wir erfahren viel über seine Laufbahn, seine Hobbies, die alle etwas mit vor-dem-Computer-Sitzen zu tun haben und seine Familie. Aufregend. Der Ton macht misstrauisch. Ich fühle mich plötzlich so … jung!
Er teilt mein professionelles Desinteresse nicht. Im Gegenteil, er glüht vor jugendlichem Eifer und Begeisterung. Beneidenswert, sich das so bewahrt zu haben, denke ich, hoffe aber noch auf den Mann im Kinde. Sind ja alle Profis hier. Allerdings scheint er zu glauben, dass er sich in einer Grundschule befindet. Stimme, Ansprache und lehrerhafter Habitus lassen keinen anderen Schluss zu. Daher also meine jugendhafte Anwandlung. Ich bin wieder im Kindergarten! Endlich.
Sein Vortragstil ist Slapstick pur. Wenn er mitzuteilen versucht, dass er nachdenken musste, sieht das so aus: Die Hand bewegt sich seitlich neben dem Kopf in einer wiederholten, schraubenden Bewegung. Das ist schon ulkig genug, aber das Geräusch, das er dabei produziert, entzieht mir den Boden. So etwas wie krrk-krrk. Ich überlege, was zu tun ist. Auf jeden Fall aufschreiben!
Jetzt wird das Heureka kommuniziert: Mit deutlichem Anlauf geht der ausgestreckte, rechte Zeigefinger in markanter Bewegung von unten nach oben neben das Gesicht des Experten. Breites, triumphierendes Grinsen und: „Ting!“. Mir schwinden die Sinne, Wicki hätte das nicht besser machen können.
Besser kommt es noch, als er darzustellen versucht, dass irgendetwas – der Vortragsinhalt hat mich ob der Darbietung zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr interessiert – ebenso von links nach recht wie umgekehrt funktioniert. Dazu geht er erklärend mit wellenartigem Schleichschritt von links nach rechts und dann zurück, die Arme unterstützen die Bewegung. Otto, Paulchen Panther, Schmidtchen Schleicher!

Ich überlege ob ich versuchen sollte ohnmächtig zu werden. Oder etwas zu tun, wofür man gemeinhin für lange Zeit hinter Gitter wandert. Aber einige Jahrzehnte IT machen gelassen. Im Vergleich zu mir sind auch hartgesottene Stoiker völlig cholerisch. Dennoch fürchte ich, sterben zu müssen. Klar, sowieso irgendwann … aber jetzt gleich!

Nach der Aufführung kehren alle wieder in die echte Welt zurück. Niemand redet über Parser, aber krrk-krrk und „Ting!“ sind zu geflügelten Worten geworden. Ich hoffe, er hält bald wieder einen Vortrag. Dann bin ich besser vorbereitet, aufmerksamer und schreibe mit. Ich werde davon berichten…

5 Kommentare zu „Der IT-Vortrag

  1. Da bin ich als Physiker aber beruhigt, dass es bei den Informatikern nicht anders ist. Schade, dass nicht jeder Vortrag ein paar Slapstick- Einlagen zu bieten hat. Dann wäre ich sicher das ein oder andere Mal aufmerksamer. 😉

  2. Da ich immer gerne eneues lerne, weiß ich nun was ein Parser ist, dank dir. Allerdings finde ich deinen Ausflug Jenseits des Inhaltes, also die Achtung des Kontext und der halbnonverbalen Kommunikation wesentlich unterhaltsamer. Informatiker und Physiker scheinen ein besonders seltsam flaches Innenleben zu haben.

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